13.11.2023
Schon immer da: Das Gewürz- und Teehaus Schnorr
Würzig-aromatisch, kräftig-herb oder leicht süßlich – auf dem Weg vom Paulsplatz Richtung Zeil steigt einem auf der Neuen Kräme für gewöhnlich ein verlockender Duft in die Nase. Urheber dieses exotischen Aromas ist eine dieser Frankfurter Ladeninstitutionen, ohne die wir uns das Stadtleben fast nicht vorstellen können. Das Gewürz- und Teehaus Schnorr versorgt, oder besser verwöhnt, seit 1956 seine Kund:innen mit hochwertigen Teespezialitäten, Manufakturgewürzen und allerlei Feinem. Ein Besuch.
Neue Kräme 28 | Frankfurt Innenstadt | @schnorrs
Beim Betreten des Ladens intensiviert sich nicht nur der wunderbare Duft, sondern angesichts der nostalgischen, bis fast zur Decke gefüllten Regale und Vitrinen auch unsere Erinnerungen an die Samstagsbummel und Weihnachtseinkäufe der Kindheit. Bereits ausgestattet mit einem frisch aufgebrühten Tee und einem strahlendem Lächeln, empfangen uns Inhaber Kai Schnorr und Gewürzsommelier Florian Lehner. Mit einer warmen, dampfenden Tasse in der Hand unterhält es sich doch nochmal so gut.
Lage, Lage, Lage
Die erste Filiale der Großeltern Eduard und Martha befand sich nicht in der Bestlage von heute, sondern in der Sandhofpassage – „damals ein dunkler Tunnel“, erzählt Kai. Seinen Großvater hat er leider nie persönlich kennengelernt, aber viele Geschichten gehört. Opa Edi war treibende Kraft und sehr viel daran gelegen, mit seinem für damalige Verhältnisse sehr exotischen Geschäft in der Innenstadt vertreten zu sein – auch wenn es zunächst nur ein winziger Laden ohne Toilette war. Für diese Beharrlichkeit ist Kai ihm heute dankbar.
Mit der größeren Filiale in der Neuen Kräme 32 wuchs 1965 auch das Sortiment, bevor es 1978 in die heutige Filiale, eine ehemalige Metzgerei, zwei Häuser weiter ging. Hier investierte „der Opa“ und nahm einiges an Geld in die Hand. Was heute nostalgisch anmutet und für die Kund:innen das besondere Flair ausmacht, war der neuste Schrei der Siebziger – seinerzeit umgesetzt und maßgeschneidert von niemand Geringerem als dem damaligen Inneneinrichter der Alten Oper Frankfurt. Ab 1983 leitete schließlich Kais Tante den Laden, bevor er selbst 2016 in dritter Generation die Geschäfte übernahm.
Die Chemie stimmt
Eigentlich war die Nummer sicher der Plan. Kai hat Chemie und Sport auf Lehramt studiert und nach dem ersten Staatsexamen seine Promotion in Chemie begonnen, wo sich auch die Wege mit Florian („Flo“) kreuzten. Interesse für den Laden hatte er jedoch immer und während eines Forschungsaufenthalts in Rio de Janeiro reifte der Gedanke, das Geschäft zu übernehmen. Es folgte: Die Ermutigung seiner Frau, Freudentränen seiner Tante über die unverhoffte Nachfolge und schließlich der Einstieg in den Laden. Mit der Geburt seiner Tochter und Verteidigung seiner Doktorarbeit („Ich wollte nicht als Abbrecher hier aufschlagen!“) zur gleichen Zeit „kam dann viel zusammen“.
Dass Kai an seinen Laden glaubt und den Einstieg nicht bereut hat, merkt man sofort. Daran hat auch die Pandemie nichts geändert. Während Corona hat er seine Rücklagen investiert und das Sparschwein geplündert, um „den Wagen nicht an die Wand zu fahren“ und der Verantwortung gegenüber seiner Mitarbeiter:innen nachzukommen – Freude und Bürde eines Familienunternehmens. Eine enge Beziehung und viele persönliche Gespräche mit seinem Team sind für Kai auch heute selbstverständlich. Die Kommunikation ist offen und bei Entscheidungen werden die Konsequenzen für jede:n berücksichtigt.
Viel (Multi-)Talent
Was das Teehaus so besonders macht, ist neben seiner langen Tradition vor allem der erstklassige Service. Kai und Flo freuen sich über zufriedene Kund:innen „auf allen Ebenen“, die sich als solche wirklich wahrgenommen fühlen. Wer für diesen Service sorgt, ist genau dieses 20-köpfige Team. „Bei uns herrscht absolutes Teamwork“, sagt Kai. „Das würde jeder unterschreiben.“ Alle stehen füreinander ein – darauf ist er stolz. Die Stabilität im Team gibt ihm recht. Die meisten Mitarbeiter:innen, neben ein paar „Frischlingen“, sind Jahrzehnte dabei. Spitzenreiterin ist Frau Meier (nach eigener Aussage: „Großes M, kleine Eier“), die nach 61 Dienstjahren und über 80 Jahren immer noch mit Spaß bei der Sache ist und „von allen ziemlich abgefeiert wird.“
Nach wie vor ist sie Teil der Expert:innen im Laden, die etwas von ihrem Handwerk verstehen, sich Zeit für eine ausführliche Beratung nehmen und gerne einen Schluck frisch aufgebrühten Tee zum Probieren anbieten. Flo ist einer dieser Expert:innen, der wie Kai Doktor der Chemie ist. Er kennt den Laden seit seiner Kindheit, hat Kai in der Übernahme bestärkt und ist seit 2017 dabei. Als Gewürzsommelier berät er die Kundschaft in Sachen Aromen sowie Würze und ist für die Qualitätssicherung zuständig. Dabei bleibt es aber nicht. Als Ästhet („Ich mag’s schick“) überarbeitet er die Rezeptbroschüren, kreiert eigene Rezepturen, probiert sie aus und fotografiert die Ergebnisse im eigenen Wohnzimmer – als Multitalent quasi.
Marzipan des Sommers
Diese persönliche Beratung, die Produktqualität, die in Frankfurt in vielerlei Hinsicht einzigartig ist, und ein gut organisierter Service („Auf zack!“), was Lieferungen und Infrastruktur angeht, machen das Teehaus so beliebt. Inzwischen kommen nicht nur die vornehme Kundschaft und die Stammkund:innen eines Traditionsladens. Auch ein zunehmend jüngeres und buntes Publikum an Neukund:innen sind interessiert und werden oft über das Hören-Sagen auf den Laden aufmerksam. Meistens seien sie „geflasht“ vom Einkaufserlebnis im Schnorr und gehen mit einem „Das war ja krass hier!“ heraus. Denn hier geht es nicht nur um Bedarfsdeckung, sondern darum, ein Feuer bei den Kund:innen zu entzünden. Natürlich gebe es einfachere Jobs, meint Kai, aber diese Wertschätzung der Kund:innen mache den Unterschied. Denn es sei nicht nur Arbeit, sondern auch ein Kunstwerk mit einem talentierten Team und wunderbaren Produkten.
So haben sie auch den Webshop weiterentwickelt und zusätzlich zum Laden sowie einem Außenlager einen Office- und Seminarraum eingerichtet, in dem sie auch Workshops geben. Inzwischen setzen sie neben dem Endkundengeschäft auch Aufträge für Firmen um, die bei den Präsenten für Kund:innen und Events besonderen Wert auf Bedeutung, Qualität und Frankfurt-Bezug legen und vom gebrandeten USB-Stick wegkommen möchten. Vereinzelt beliefern sie auch Gastronomien in der Nachbarschaft, wie das Walden, Café Hauptwache, Destino oder das Muku, mit Gewürzen oder Tee und bauen so ihr Netzwerk aus. Das Geschäft sei jedoch nach wie vor sehr saisonabhängig. Sofort fühlen wir uns ertappt: Steigt nicht bei jedem die Frequenz eines Besuchs im Teehaus antiproportional zur verbleibenden Zeit bis Weihnachten? Wir sind nicht alleine: Im Dezember verdreifacht sich der Umsatz im Vergleich zu Juli – „darauf muss man auch erstmal klarkommen“, meint Kai. Besonders der Webshop soll in Zukunft etwas mehr Balance zwischen Haupt- und Nebensaison herstellen. Was sie brauchen? „Das Marzipan des Sommers“ , sagt Flo – denn allein davon vertreiben sie in einer Weihnachtssaison ganze drei Tonnen.
Wo der Pfeffer wächst
Für die Zukunft heißt es für Kai und Flo alles andere als „Abwarten und Tee trinken“. Sie haben viel vor. Der Webshop soll weiter ausgebaut und Prozesse optimiert werden. In der hauseigenen Mischerei mit Kollege und Mischmeister Thaya möchten sie neue spannende Mischungen erstellen (Tipp: die Reis-Linsen-Mischungen), sie bekannt sowie zugänglich machen und breiter vertreiben – denn die Produkte haben Aufmerksamkeit verdient. Gleichzeitig versuchen sie, sich mit dem Marketing „keinen Bruch zu heben“ und eine gute Vereinbarkeit mit dem Tagesgeschäft zu finden, denn „die Zeit ist meistens knapp“. Ganz profan haben sie auch die Hoffnung: Mal eine Zeit ohne Krise, Pandemie oder Lieferengpässe, um ganz „normal“ arbeiten zu können.
Dienst- und Entdeckungsreisen in die Herkunftsländer ihrer Produkte, besonders Tee, gehören natürlich zu den (angenehmen) Pflichten des Jobs. Als Firma reisen sie oft nach Asien, nach Japan, China, Taiwan und Malaysia – da, wo der Pfeffer wächst, den man im Laden kaufen kann. Bald möchten sie auch wieder eine Teereise nach Japan antreten, um den Bereich Tee und ihre umfassende Expertise darin künftig lauter zu kommunizieren. Dort besuchen sie die Familien, die die Produkte liefern und mit denen sie in engem persönlichen Kontakt stehen. Diese Nähe in den Beziehungen zu ihren Lieferant:innen ist ihnen sehr wichtig.
Ein Seelenanker
Aber für was steht Tee trinken? Für Flo bedeutet es vor allem eines: Ruhe. Ein Tee am Morgen lässt einen durchatmen und in den Tag starten. Gleichzeitig ist ein gemeinsamer Tee eine wunderbare Gelegenheit, sich kennenzulernen. Außerdem ist er sehr vielseitig – fast wie Wein, hat verschiedene Typen und sagt etwas über den Charakter aus. Wir kennen für gewöhnlich nur einen Bruchteil der Sorten und Nuancen, die Tee haben kann, was ihn immer wieder überraschend macht.
Diese doppelte Wirkung von kostbarem Werkzeug zum Entschleunigen einerseits und kommunikativem Aspekt andererseits ist auch für Kai das Spannende. Ein gemeinsamer Tee kann ein Gespräch verändern und ein angenehmer Gegenpol mit unglaublich viel Potenzial zur schnelllebigen Welt sein. Darin unterscheidet sich der Charakter eines Tees auch sehr von beispielsweise dem eines Espressos. Ein Tee hat Zeit, sortiert, belebt, ist geschmacklich spannend und „ein Seelenanker.“ Sanft, kräftig, erdig, temperamentvoll – jede Zeit, jede Stimmung hat ihren Tee. Ein wunderbares Schlusswort.