25.07.2024
Atelierbesuch: Im Gespräch mit Franziska Nori
Eines der wunderbarsten Schmuckstücke in der Neuen Altstadt ist definitiv der Frankfurter Kunstverein. In dem Ausstellungshaus finden regelmäßig verschiedene Disziplinen und vor allem junge, aufstrebende Künstler:innen aus zeitgenössischer Kunst und Kultur eine Bühne. Als Ort für Begegnung und Auseinandersetzung möchte der Frankfurter Kunstverein den öffentlichen Diskurs anregen und zum politischen Handeln animieren. Dass das funktioniert, wird jeder – inklusive uns – bestätigen, der einmal eine der beeindruckenden Ausstellungen gesehen hat. Wer dahinter steckt? Direktorin Franziska Nori und ihr Team. Sie leitet seit 2014 den Kunstverein und hat viele so spannende wie preisgekrönte Ausstellungsprojekte umgesetzt. Wir haben mit Ihr über prägende Lebensstationen, ihre Liebe zu Frankfurt sowie dem Kunstverein gesprochen und darüber, wo Frankfurt auch ein bisschen italienisch ist.
In Sichtweite des Römers, gleich zu Beginn der Neuen Altstadt, befindet sich der Frankfurter Kunstverein im Steinernen Haus, dem ältesten Gebäude inmitten der neu rekonstruierten Altstadt. Die besondere Stimmung und Herangehensweise an aktuelle Themen sowie die Verbindung von Kunst und Wissenschaft faszinieren und fesseln uns auch wieder einmal, als wir diesmal durch die aktuellen Ausstellungen schlendern.
Die Freiheit der Gedanken, des Handelns, und die Leidenschaft der Menschen. Da will ich sein.
Nur heute sind wir nicht alleine. Hausherrin Franziska Nori, Direktorin und Kunsthistorikerin, empfängt uns und nimmt uns mit auf einen Rundgang – nicht nur durch die Ausstellungen, sondern auch ihren Werdegang und ihr Frankfurt. Bewusst für die Kunstwelt entschieden hat sie sich nicht. Sie wollte sein, wo „die Freiheit der Gedanken, des Handelns und die Leidenschaft der Menschen“ ist. „Ich kam früh durch Menschen und Zufälle nah an den Gravitationsraum Kunst und nun drehe ich mich seit vielen Jahren in ihrer Umlaufbahn mit“, erzählt sie.
Frankfurts italienischste Eigenschaft
Geboren wurde Franziska in einer Stadt, in der Kunst in Hülle und Fülle präsent ist: in Rom. Ihre Heimatstadt, die so „chaotisch wie warmherzig“ ist und die schon immer Menschen aller Nationen und Erfahrungen ein Zuhause gegeben hat, hat sie besonders geprägt. Zudem ist sie in den Jahren der politischen Straßenkämpfe aufgewachsen, der bleiernen Zeit. Und auch Frankfurt hat sie extrem geprägt. Anfang der 1990er Jahre kam sie eher durch Zufall zum Studium in die Stadt. Die war damals rough und abweisend, das empfindet sie heute nicht mehr so. Frankfurt ist die Stadt gewesen, in der sich ihr unverhofft viele Möglichkeiten eröffneten, was die ersten beruflichen Erfahrungen als Kuratorin anging. Außerdem sind hier ihre engsten Freundschaften entstanden und so hat sich über die Jahre ein Gefühl des Daheimseins eingestellt, das ihr viel bedeutet. Inwiefern Frankfurt ein bisschen italienisch ist? „Bei der Freude am Essen“, lacht sie.
Kunst ist Freiheit im Kopf.
Auch in Barcelona, wo sie Ende der 1990er Jahre sechs Jahre lebte und als Kuratorin für das Nationalmuseum Reina Sofia Madrid, die Fundacion la Caixa Palma de Mallorca und dort für einen Space zeitgenössischer Kunst arbeitete, hat sie spannende Aufbruchsjahre einer Stadt mit einer jungen und politisch rebellischen Untergrundkunstszene erlebt. In Florenz war sie von 2007 bis 2014 Gründungsdirektorin der zeitgenössischen Kunsthalle am Palazzo Strozzi. Der spätere Ministerpräsident Matteo Renzi wollte als junger, aufstrebender Oberbürgermeister die Stadt grundlegend verändern. Für sie war es eine extrem spannende Erfahrung in Sachen Kulturpolitik einer Stadt im Wandel.
Zwischen Kunst und Wissenschaft
Seit 2014 verantwortet sie die Leitung des Frankfurter Kunstvereins. Für sie ist er ein Ort im Herzen Frankfurts, an dem Menschen neuartige Ideen und überraschende Kunst entdecken, und gleichzeitig spannenden Künstler:innen und Innovationsdenker:innen begegnen können. „Hier kann man Kunst und Wissenschaften erleben, die sich mit den Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.“ Wie verändern uns digitale Technologien? Wie kann die ökonomische und ökologische Transformation unserer Gesellschaften aussehen? Was hat sich an der Beziehung zwischen Mensch und Natur verändert? Das sind für sie die bewegendsten Fragen.
Frankfurt hat mich extrem geprägt.
Und auch die Ausstellungen im Frankfurter Kunstverein sollen bewegen. Eine Ausstellung ist für Franziska interessant, wenn sie Ausschnitte einer Wirklichkeit zeigt, die man so noch nicht gesehen oder gedacht hatte und die einen verändert zurücklässt. „Eine beeindruckende Ausstellung kann digital und online, oder an einem konkreten Ort stattfinden, in Museen, in Off-Spaces, im urbanen Raum oder in den Weiten der Landschaft“, erklärt Franziska. Eine Ausstellung sei ein willkürlich gesetzter Rahmen der Aufmerksamkeit. Was darin gezeigt wird, wie es visuell umgesetzt und wie Hintergründe vermittelt werden, sei ein ganz wesentlicher Teil der Qualität einer Ausstellung.
Aber was macht gute Kunst aus? „Kunst ist gut, wenn sie berührt und sinnlich überwältigt, eigenständig und differenziert argumentiert, wenn sie Sinn stiftet, indem ich mich als Teil eines größeren Ganzen erfahre.“ Kunst sei eine Begegnung, die den Blick innehalten und Neugier auflodern lasse. Sie könne Geschichten erzählen und Wahrheiten aufzeigen. Für Franziska ist klar:„Kunst ist Freiheit im Kopf.“
Der FKV ist ein Ort im Herzen Frankfurts, an dem Menschen neuartige Ideen und überraschende Kunst entdecken, und gleichzeitig spannenden Künstler:innen und Innovationsdenker:innen begegnen können.
Groß und doch klein
Und auch in Frankfurt fühlt sie sich frei. Frankfurt habe die Dichte und Offenheit einer internationalen Stadt, die sie brauche, sei dabei aber nicht anonym. „Hier wohnen und arbeiten unglaublich viele Menschen mit Ideen – und sie machen die Stadt lebendig.“ Die Dichte an Kunstakademien, wissenschaftlichen Instituten, Kultureinrichtungen und freien Kunstschaffenden sei unglaublich hoch. „Die Menschen dieser Stadt sind politisch und kulturell aktiv. Frankfurt ist mein Zuhause geworden.“
An einem freien Tag trifft man Franziska meist auf dem Weg zu Künstler:innenateliers im Bahnhofsviertel oder in Offenbach. Aber auch auf dem Lerchenfeld, einem Renaturierungsprojekt im Nordwesten Frankfurts, das sie mit Naturschützer:innen betreibt. Woran es Frankfurt ihrer Meinung nach fehlt? „Wir brauchen mehr Aufbruchsstimmung und Lust an der Transformation. Mehr Allgemeinwohl und weniger Partikularinteressen. Mehr junge Menschen mit klugen und mutigen Projekten und weniger alte, satte Bedenkenträger:innen.“
Hier wohnen und arbeiten unglaublich viele Menschen mit Ideen - und sie machen die Stadt lebendig.
Ihre Tipps für Frankfurt sind keine Lieblingskneipen oder Spazierrouten, sondern Empfehlungen mit Tiefe: Die Stadt grüner und kühler umzugestalten; urbanistische und architektonische Projekte für die Menschen und nicht für Investoren umzusetzen; Mobilitätskonzepte und Lebensqualität aus Sicht der Bürger:innen von Morgen auszurichten.
Wir sind beeindruckt von unserem Ausstellungsrundgang inklusive Zeitreise und vieler wunderbarer Einblicke. Vielen Dank für den inspirierenden Besuch und Deine Zeit, Franziska!
Die aktuelle Doppelausstellung „Wer hat Macht? Körper im Streik“ von Sonja Yakovleva und Gintarė Sokelytė, die der Frage nachgeht, welcher äußeren und inneren Macht unsere Körper ausgesetzt sind und was es mit der ständigen Selbstoptimierung auf sich hat, ist noch bis zum 4. August 2024 zu sehen und sehr empfehlenswert.