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Ein Tag im Leben von: Straßenbahnfahrerin Nurten

Die zentrale Lage, die gute Anbindung und nicht zuletzt der Flughafen machen Frankfurt zu einem wichtigen internationalen Verkehrsknotenpunkt. Doch auch in unserer Stadt selbst ist verkehrstechnisch bekanntlich viel Trubel. Auf neun U-Bahn- und zehn Straßenbahnlinien (plus der Sonderlinie Ebbelwei Express) verkehren rund 400 Schienenfahrzeuge der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main, kurz VGF. Die uns so vertrauten Wagen (deren Farbe sich übrigens „subaru vista blue“ nennt) sorgen täglich dafür, dass wir – mittlerweile über 760.000 – Frankfurter:innen und werktags mehr als 380.000 Pendler:innen sicher und schnell von A nach B kommen. Alleine im Jahr 2022 beförderten fast 900 Schienenbahnfahrer:innen über 150 Millionen Fahrgäste. Eine von ihnen ist Nurten. Die 30-Jährige ist als Straßenbahnfahrerin für die VGF unterwegs und hat uns einmal mit in ihren Alltag quer durch Frankfurt genommen. Und Abfahrt!

Zugegeben: Nurten’s Schichtbeginn haben wir verpasst. Sie arbeitet in der Frühschicht. Start ist da gewohnheitsgemäß in den frühen Morgenstunden, zwischen halb drei und halb sieben. Dann holt sie ihren Zug samt Fahrplan und kontrolliert Lichter und Anzeigen. Was für andere zeitlich doch recht brutal klingt, ist für sie genau die richtige Zeit, um in den Tag zu starten. Neben dem Nachtzuschlag und einer ruhigen Bahn, ist es vor allem die Stimmung in der Stadt, die Nurten dann besonders gefällt. „Man sieht die Stadt mit ganz anderen Augen“, erzählt sie. „Wenn man frühmorgens über die Friedensbrücke fährt, erwischt man oft noch den Vollmond und sieht gleichzeitig schon den Sonnenaufgang. Das ist sehr schön!“

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Papa, ich will Bahn fahren

Vor 152 Jahren, am 19. Mai 1872, fuhr in Frankfurt die erste Straßenbahn – damals mit nur einem PS als Pferdebahn. 1996 wurde dann die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main gegründet. Das war vor Nurten’s Zeit. Sie ist seit etwas über zwei Jahren bei der VGF und eine von etwa 2.700 Mitarbeitenden. Eigentlich ist sie gelernte Bürokauffrau und hat dann umgesattelt. Nach einer Fahrausbildung für das Vorfeld arbeitete sie am Flughafen – bis Corona kam. Sie beschloss, ihrem großen Interesse für Straßenbahnen zu folgen, sich bei der VGF zu bewerben und die dreimonatige Schulung zu machen. „Ich habe zu meinem Vater gesagt: ,Papa, ich will Straßenbahn fahren.’ Er ist selbst als Busfahrer am Flughafen tätig und hat gesagt: ,Dann mach’ das.’ Der Support meiner Eltern war mir sehr wichtig und ich bin quasi in ihre Fußstapfen getreten.“ Diese Entscheidung hat sie bis heute nicht bereut.

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Mit der 17 in den Urlaub

Nurten ist gebürtige Frankfurterin. Was sie an ihrem Job liebt, ist, durch Frankfurt zu fahren und die Stadt immer wieder von einer neuen Seite kennenzulernen. Besonders mag sie dabei den Main, den Römer und den Willy-Brandt-Platz. Ihre Lieblingslinie? Die Linie 17 Richtung Neu-Isenburg Stadtgrenze. Auf der idyllischen Waldstrecke Richtung Süden darf man etwas schneller fahren (60 km/h). Nurten macht gerne ein bisschen das Fenster auf und genießt die frische Waldluft: „Das ist fast ein bisschen wie Urlaub.“

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Alle für eine

Auch verändern sich in jedem Viertel die Eindrücke und jeder Stadtteil hat seine besonderen Fahrgäste. „Am Südbahnhof bekommt man oft etwas von Gästen geschenkt“, lacht Nurten. Manchmal winken ihr auch Kinder zu. Viele freuen sich, eine junge Frau als Fahrerin zu sehen. „Das ist sehr motivierend!“ Sie selbst hat Fahrerinnen immer bewundert und sie sind nach wie vor besonders, obwohl Nurten mittlerweile sehr viele weibliche Kolleginnen hat und manche Schichten, je nach Einteilung, fast komplett von Fahrerinnen gewuppt werden. „Da ist man teilweise schon unter sich“, scherzt sie.

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Im Vorbeifahren geherzt

Obwohl meistens alleine in der Fahrerkabine, hat Nurten nicht nur zu ihren weiblichen Kolleginnen ein gutes Verhältnis. Vom Sommerfest, über Ausflüge, gemeinsame Essen, bis zum Weihnachtsmarkt auf dem Betriebshof – „Wir machen viel fürs Team, der Zusammenhalt wird bei der VGF auf jeden Fall gefördert.“ Trotzdem schätzt sie die Ruhe und Selbstständigkeit, die sie in ihrer Fahrerkabine hat. Kommt einem ein:e Kolleg:in entgegen, ist jedoch das obligatorische Grüßen, das viele von uns (oder sind das nur wir?) so gerne beobachten, Pflicht. „Kolleg:innen, die ich nicht so gut kenne, winke ich zu. Jemand aus dem Team, den ich besser kenne, bekommt auch schonmal ein Herz mit den Händen.“

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Mitdenken regelt den Verkehr

Obwohl Nurten ihren Job und die Abwechslung des Stadttrubels liebt, kann letzterer herausfordernd sein. Je nach Uhrzeit und Strecke, ist der Verkehr teils extrem. Da wird es schonmal stressig. „Ich muss für jede:n Verkehrsteilnehmer:in mitdenken – egal, ob Passanten, Autos, Fahrräder oder Hunde.“ Nurten fährt sehr vorausschauend und hat mit wachsender Erfahrung auch kritische Stellen auf dem Schirm, die zu spontanen U-Turns oder riskanten Manövern verleiten. Oft musste sie bereits Notbremsen machen, um Schlimmeres zu vermeiden. „Am besten sollte man auf jeden achten und niemandem trauen“, meint sie. Diese Verantwortung macht ihr Spaß und eine gut gemeisterte Situation sie auch „sehr stolz“.

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Eine Frage von Millimetern

Auf vier Rädern ist die leidenschaftliche Autofahrerin („Berlin hin und zurück an einem Tag ist kein Problem für mich“) bisher unfallfrei, ihren ersten Unfall bei der VGF konnte sie trotz allem jedoch nicht vermeiden. Das war ein Zusammenstoß mit einem Auto auf der Offenbacher Landstraße. „Wir haben uns um Millimeter verschätzt“, erinnert sie sich. In dieser Situation war sie froh, als Fahrerin nicht alleine zu sein, sondern über die Leitstelle mit der Krisenintervention in Verbindung gesetzt zu werden. „In einer Ausnahmesituation bekommt man dann direkt Unterstützung.“ Eine Ausnahmesituation im positiven Sinne war eines von Nurtens verrücktesten Erlebnissen: Während ihrer Ausbildungszeit durfte sie mit der Straßenbahn eine U-Bahn-Strecke im Tunnel fahren. Die Einheitsgröße der Schienen im U-Bahn- und Straßenbahnbereich hat das möglich gemacht.

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Straßenbahn durch und durch

Trotz kritischer und gerade wegen solch besonderer Situationen, geht Nurten sehr gerne zur Arbeit: „Ich liebe meinen Job!“ Sie würde sich nicht nur immer wieder dafür entscheiden, sondern bereut auch, das nicht schon früher getan zu haben. „Wenn ich aus dem Urlaub komme, umarme ich bei meiner Schicht oft erstmal meine Bahn“, lacht sie. Manchmal träumt sie auch vom Straßenbahnfahren. Mit den Kolleg:innen hat sie sogar eine WhatsApp-Gruppe, in der sie sich Bilder von Straßenbahnen aus dem Urlaub und von anderen Orten der Welt schicken. Klingt ein bisschen verrückt, aber auch nach einem ziemlich erfüllenden Arbeitsalltag.

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Was es braucht

Wer bei so viel Schwärmerei Lust auf Schienenverkehr bekommt, sollte mindestens 21 Jahre als sein und seit drei Jahren den Führerschein besitzen. Eine Berufsausbildung ist erwünscht und gern gesehen. Altersklassen gibt es viele, Quereinsteiger:innen auch. „Man muss das Fahren lieben“, ergänzt Nurten und – trotz der Schienen – auch einen guten Orientierungssinn haben. Der Kontakt zu Menschen sei durch die geschlossene Kabine natürlich eingeschränkt, dennoch sollte man freundlich sein und den Fahrgästen bei Rückfragen zu Umleitungen und Fahrten zur Verfügung stehen. Verantwortungsbewusstsein und eine gewisse Ruhe sind außerdem wichtig, findet Nurten.

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Der frühe Vogel fährt die Bahn

Obwohl die Linien und Schichten für jeden immer wechseln, bekommen Eltern auch teils feste Schichten oder Linien zugeteilt, um planen zu können. „Das ist alles möglich.“ Mit einer Frühschicht bleibe zumindest noch Zeit für anderes während des Tages, erzählt Nurten. Sie liest viel (gerne auf Türkisch), hört Musik (das ist während der Fahrt nämlich verboten), verreist und geht gerne ins Kino oder mit Freund:innen aus. Für die Zukunft hat sie sich vorgenommen,  sich bei der VGF weiterzubilden, beispielsweise als Teamleiterin oder Fahrtrainerin. Auch eine U-Bahn-Schulung kann sie sich vorstellen.

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Tipps für die Reise

Zum Schichtende gibt Nurten ihren Zug, an diesem Tag die Linie 11, am Hauptbahnhof ab. Allerdings nicht ohne uns noch ein paar Tipps in Sachen Traumjob auf den Weg zu geben. „Traut Euch und geht auf Eure Träume zu, um sie zu verwirklichen.“ Das Leben sei zu kurz, um nicht zu handeln. Und ihr Ratschlag für den Straßenverkehr? Nicht zu nah an Schienen parken und „Bei rot stehen, bei grün gehen“ gilt auch, und vor allem, an Bahnübergängen – das hat seinen Grund.

Vielleicht seht Ihr Nurten man in der ein oder anderen Bahn? Dann winkt doch mal rüber.

Danke für das tolle Gespräch und weiterhin gute Fahrt!

Mehr Tage in anderen Leben findet Ihr auf dem Blog.

Nathalie Eirich

Gebürtig aus Darmstadt, seit mehreren Jahren Wahlfrankfurterin – und immer noch frisch verliebt in die Stadt. Leidenschaftliche Spaziergängerin, Kaffee-Trinkerin, Yogi, Tänzerin, Medienkulturwissenschaftlerin und PR-Beraterin. Kochmuffel und daher Restaurantfan. Theater- und Kunstliebhaberin. Früher Vogel oder Nachteule je nach Tagesform. Reich an Sommersprossen.

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