01.09.2023
Ein Tag im Leben von: Gärtner:innen im Palmengarten
Mit seinen endlosen Beeten, üppig bepflanzten Gewächshäusern und nur wenigen Schritten zwischen Steppe und tropischem Regenwald ist der Palmengarten nicht nur eine grüne Oase im Herzen der Stadt, sondern Frankfurts Tor zur Welt der Pflanzen und erholsamer Rückzugsort mit exotischer Botanik und viel Kultur. Auf 20 Hektar blühen und gedeihen das ganze Jahr über rund 13.000 Pflanzenarten und machen ihn zu einem ganz besonderen Ort – auch zum Arbeiten. Das kann niemand besser beurteilen als Justine und Alexander, die in der Gärtnerei des Palmengartens tätig und maßgeblich mitverantwortlich für die immer beeindruckende Pflanzenpracht sind. Wir haben die beiden durch ihren Tag zwischen Gewächshaus und Staudenbeet begleitet.
Die frühen Vögel
Als wir um kurz nach 10.30 Uhr in das gläserne Eingangsgebäude in der Siesmayerstraße treten und den Weg Richtung Gärtnerei einschlagen, sind Justine und Alexander schon über drei Stunden am Werk. Zwischen sechs und sieben, Alexander als Vorarbeiter bereits um kurz vor sechs Uhr, beginnen die frühen Gartenvögel mit einem Meeting ihren Tag hinter den bewachsenen Kulissen jenseits der Springbrunnen und Flanierwege. Jede:r im Team hat dabei einen eigenen Bereich und gärtnerischen Schwerpunkt. Während Alexander für die Hortensien und die Zitruspflanzensammlung mit ihren mehr als 100 Arten verantwortlich ist, ist Justine auf Nektar- und Futterpflanzen spezialisiert – Futter, für wen eigentlich? Die Frage erübrigt sich beim Betreten der ersten Station des Tages: Beide betreuen unter anderem das Blüten- und Schmetterlingshaus.
„Jedes Jahr ist gleich und trotzdem anders.“
Zur Flatterzeit
Dass angesichts der beeindruckenden Vegetation im Gewächshaus die Schmetterlinge in unserem Bauch die einzigen bleiben werden, wird uns nach der Erklärung von Alexander und Justine klar: Es ist keine Flatterzeit. Die nächste Population an Puppen, die sie von Familienbetrieben aus Costa Rica beziehen, wird im Frühherbst kommen und sich dann immer weiter verringern, bevor sich in der flatterfreien Zeit die Pflanzen eine Erholung gönnen können. Somit heißt es heute anstatt Obst schneiden und Nektar vorbereiten lediglich Beete ausputzen, gießen, Unkraut jäten, zurückschneiden und die Terrasse, die Ausstellung „Abgestaubt - von Blüten und ihren Bestäubern“ und den Workshopraum herrichten. Damit bis neun Uhr alles fertig ist, wird hier jede Hand gebraucht.
Grüner Daumen mit langem Atem
Eine Frage, die uns auf der Seele brennt: Was macht ihn denn nun aus, diesen grünen Daumen? Alexander und Justine sind sich einig: Beobachten, nicht aufgeben, auch mal etwas aus- und durchhalten. Viel Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Erfahrung seien in ihrem Beruf notwendig, sagen die beiden. Man müsse der Jahreszeit immer voraus sein, denn jede hat ihre eigene Bepflanzung. Jetzt schon planen sie, was im nächsten Sommer blühen soll und ziehen Saatgut oder Setzlinge ran – müssen dann aber permanent beobachten, anpassen und auf das Wetter reagieren. Jedes Jahr sei irgendwie gleich, aber trotzdem anders, und die Natur einfach nicht planbar – fast nicht: Um für die Ausstellungen und andere Termine die passenden Pflanzen bereit zu haben, gaukeln sie ihnen mit Verdunkelungen winterliche Kurztage vor.
„Natur ist nicht planbar.“
Gesprächsknospen
Genau dieser Weg vom Saatgut zur ausgewachsenen Pflanze ist das, was ihnen an ihrem Beruf besonders gefällt. Der Moment, wenn man die fertige Pflanze für ein Beet oder eine Ausstellung herausbringe, sei das schönste Gefühl. Die große Vielfalt und die Tatsache, dass kein Tag dem anderen gleicht, macht es für die beiden so abwechslungsreich. Jede Kultur benötige eine andere Behandlung, man müsse Verschiedenes probieren und variieren. Ihr wichtigstes Werkzeug dabei? Ihre Hände, Augen – „und immer eine Schere zur Hand“. Bei der Frage, mit welcher Pflanze sich das beste Gespräch führen lässt, müssen sie allerdings passen. Meist reden sie eher über als mit den Pflanzen. Aber ein Lob zu Größe und zum guten Gedeihen lässt doch zumindest dann die zuständigen Kolleg:innen aufblühen.
„Der Moment, wenn man die fertige Pflanze für ein Beet oder eine Ausstellung herausbringt, ist das schönste Gefühl.“
Einmal Mexiko und zurück
Was ihre Arbeit noch abwechslungsreicher macht, ist ihr Arbeitsplatz. Das Gärtnern im Palmengarten mit seinen 6.000 Quadratmetern Anbaufläche sei einfach besonders, naturnah und verbinde Gestaltung mit Wissenschaft. Wo sonst könne man sagen „Ich gehe kurz nach Mexiko“ und ist nur ein Gewächshaus davon entfernt? Auch den internationalen Austausch mit Kolleg:innen aus Namibia oder Anfragen von Zoos bereichern den ohnehin schon spannenden Alltag unter Palmen. Ihre Lieblingsplätze dort sind der Große Weiher mit seinen Booten, das altehrwürdige Palmenhaus, das älter ist als der eigentliche Palmengarten, (natürlich) das Schmetterlingshaus, im Frühling der Rhododendrongarten und die Krokuswiese, im Herbst die bunten Bäume. Dass angesichts der exotischen und beeindruckenden Auswahl an Botanik leider kein Kraut gegen Diebe gewachsen ist, ist eine der überraschendsten Herausforderungen ihrer Arbeit. Kenner:innen schreckten nicht davor zurück, frisch Gepflanztes oder Rares samt Wurzel mitgehen zu lassen. Die ein oder andere seltene Orchidee oder allerlei Beschlagnahmtes stehe daher hinter Vitrinen oder verschlossenen Türen.
„Es ist ein anderes Gärtnern.“
Töpfchengärtnern mit Tradition
Alexander und Justine sind echte Eigengewächse des Palmengartens und längst nicht mehr grün hinter den Ohren. Beide haben ihre Lehre im Zierpflanzenbau hier gemacht – Alexander vor 22 Jahren, Justine seit 2010 – und sind geblieben. Auch die Ausbildung von neuen „Töpfchengärtner:innen“, wie der Zierpflanzenbau scherzhaft genannt wird, liegt dem Team im Palmengarten am Herzen. Sechs Lehrlinge haben sie derzeit, die auch eigene kleine Pflanzen-Projekte betreuen und ihre Zöglinge gelegentlich bei Ausstellungen verkaufen. Bei Alexander und Justine lag der grüne Daumen sozusagen schon in der Familie. Alexanders Großeltern waren im Gartenbau und prägten seine Kindheit, Justine ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und schwenkte von Feld zu Garten um.
„Der grüne Daumen bedeutet beobachten, nicht aufgeben, auch mal etwas aus- und durchhalten.“
Ausgleich zwischen Kraut und Rüben
Weil beide uns mit ihrer Leidenschaft anstecken und regelrecht in ihrem Beruf aufzublühen scheinen, wundert es uns nicht, dass sie ihre „Arbeit“ auch mit nach Hause nehmen. Balkon und Wohnung sind natürlich dicht begrünt und Justine entspannt gerne an einem schattigen Plätzchen in Garten, wo sie auch ihre Leidenschaft für Obst und Gemüse ausleben kann. Ihren Ausgleich zu ihrer wunderbaren, aber doch teilweise sehr körperlichen Arbeit finden sie in Ruhe zu Hause, an Lieblingsplätzen in Born- oder Bockenheim oder bei einem entspannten Ausflug in – richtig – andere Gärten und Parks, „um mal zu sehen, was die Kolleg:innen so machen.“
Eine Arbeit, die Früchte trägt
Langfristig geht es Alexander und Justine darum, sich in vielen neuen Projekten und Austausch weiterzuentwickeln. Vieles passiere einfach und eröffne neue Perspektiven. Der biologische, insektenfreundliche Anbau fern von Chemie ist dabei beispielsweise eine Herzensangelegenheit. Kalium- und stickstoffreiche Schafswolle aus dem Odenwald zum Düngen und Nützlinge, wie Florfliegen oder Schlupfwespen, statt Pestizide schonen Pflanzen, Schmetterlinge und die Bienen aus dem benachbarten Botanischen Garten. Im Gegensatz zum Obst- und Gemüseanbau ist ein biologischer Ansatz im Zierpflanzenbereich eher noch nischig – hier bilden sie sich auf Tagungen weiter und treiben das Projekt nach vorne, denn „auch Insekten haben Bio-Ernährung verdient.“
„Auch Insekten haben Bio-Ernährung verdient.“
Nach einem Rundgang mit den beiden und einige Beete, Zöglinge und Gewächshäuser später, sind wir uns einig: Es klingt nach einer Arbeit, die zufrieden macht. Wir lassen die Gärtnerei hinter uns, schlendern noch ein wenig durch die Ergebnisse der jahrelangen und tagtäglichen Arbeit von Alexander, Justine und ihrem Team – und sehen die extravagante grüne Lunge Frankfurts jetzt mit ganz anderen Augen.