06.04.2023
Ein Tag im Leben von: Damenschneiderin Yasmine
Die Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz sind mit ihrer Theaterdoppelanlage aus Oper, Schauspiel, Kammerspiel und der „Box“, sowie dem Bockenheimer Depot der größte kommunale Theaterbetrieb in Deutschland. Auf der unter anderem größten Sprechtheaterbühne im Rhein-Main-Gebiet und der zweitgrößten Drehbühne der Welt können mehr als 2000 Kulturbegeisterte fast täglich Theater- und Opernaufführungen genießen. Derzeit sorgen etwa 1150 Mitarbeiter:innen für ein unvergessliches Kulturerlebnis. Eine davon ist Yasmine. Sie ist als Schneiderin und Ankleiderin in der Damenschneiderei mitverantwortlich für die pro Spielzeit durchschnittlich 1000 hergestellten Kostüme. Wir durften sie bei einem Arbeitstag begleiten und einmal wortwörtlich hinter die Kulissen schauen.
„Am Ende des Tages sieht man einen Fortschritt – groß oder klein.“
Jeden Tag ein sichtbares Ergebnis auf dem Tisch zu haben und einen Fortschritt zu sehen, ist für Yasmine das Besondere an ihrer Arbeit. Anfertigen, Ändern, Reparieren und Aufarbeiten von Kleidung für alle Produktionen am Haus – das sind ihre Hauptaufgaben. So auch an diesem Tag, als wir die Werkstatt im Hinterhaus des Schauspiels betreten und sie gerade ein Kostüm für die anstehende Premiere verstaut. Jede:r Solist:in bekommt sein oder ihr Kostüm auf den Leib geschneidert. Wird der Chor für ein Stück aufgestockt, hat sich ein:e Darsteller:in verändert oder ist hinzugekommen, sind ebenfalls die Fähigkeiten von Yasmine und ihren Kolleg:innen gefragt.
Dass sie ans Theater möchte, war ihr schon sehr lange klar. Der Kontakt zu den Künstler:innen und die besondere Atmosphäre hinter der Bühne haben sie immer fasziniert. Dass sie ein handwerklicher Typ ist, zeichnete sich ebenfalls früh ab, denn „zu Hause lagen eigentlich immer Nähutensilien herum.“ Einige Praktika in verschiedenen Ateliers und am Hessischen Staatstheater Wiesbaden später, absolvierte sie eine vollschulische Ausbildung zur Maßschneiderin. Nach verschiedenen Praktika an den Städtischen Bühnen ergatterte sie nach ihrem Abschluss eine Stelle im Ankleidedienst des Opernchors. Sie bewarb sich schließlich auf eine Anstellung in der Damenschneiderei, wechselte innerhalb des Hauses – und blieb. In diesem doch recht kleinen Berufsfeld sei das ein echter Glücksfall – umso glücklicher ist sie, 2023 ihr zehntes Jahr am Haus, inzwischen als stellvertretende Vorarbeiterin, zu feiern.
„Ich wollte immer ans Theater.“
Die Möglichkeiten am Theater seien einfach andere als in einem Atelier – finanziell und künstlerisch. Yasmine hat beides kennengelernt. Das Mitwirken an einer Produktion, die vielen unterschiedlichen Materialien, der Austausch mit den anderen Werkstätten und die Tatsache, dass sie nicht nur Alltagskleidung, sondern maßgeschneiderte Kostüme für die Bühne herstellt, bringen einiges an Abwechslung und Außergewöhnlichem mit sich. Das macht es für Yasmine interessant und das Theater als Arbeitsplatz so besonders. Deshalb besucht sie auch öfter die Generalproben. Die fertigen Kostüme auf der Bühne und im Zusammenspiel mit dem Bühnenbild zu sehen, sei jedes Mal ein besonderer Moment.
Yasmines Arbeitstag startet nach einem guten Frühstück (wichtig!) zwischen sieben und halb neun. Sie richtet sich meist zuerst mit allen nötigen Utensilien auf ihrem Arbeitsplatz direkt an der großen Fensterfront der Schneiderei ein und beginnt mit den Arbeiten an den aktuellen Kostümteilen. Etwa einmal im Monat läutet ein Werkstattgespräch, in dem mit dem gesamten Team Aktuelles und die nächsten Schritte besprochen werden, den Tag ein. Oft stehen bei Yasmine auch Anproben der Künstler:innen an, die sie mitbetreut. Dabei arbeitet sie Hand in Hand mit der Produktionsleitung, Gewandmeister:innen, Kostümbildner:innen und Assistent:innen zusammen. Besprechen, abstecken, anpassen – oft dauern die Anproben um die eineinhalb Stunden und sind teilweise sehr zahlreich, wenn es zum Beispiel um die Ausstattung eines ganzen Chors geht.
„Man braucht Flexibilität, Geduld, Teamfähigkeit und natürlich handwerkliches Geschick.“
Es gäbe auch Tage, da sei sie eigentlich kaum am Platz und weniger in der operativen Schneiderarbeit unterwegs, erzählt Yasmine. Neben der Beaufsichtigung von Anproben ist sie aufgrund ihrer Position auch oft Ansprechpartnerin für Fragen und Zweifel von Kolleg:innen oder gibt Auskunft zu den Projekten. Flexibilität, Geduld und Teamfähigkeit sind in ihrem Job besonders wichtig – „und natürlich handwerkliches Geschick.“ Sowohl die Arbeit mit der Nähmaschine als auch mit der Hand macht ihr Spaß. Sich in ein Teil zu vertiefen und in der Arbeit zu versinken, habe durchaus etwas Meditatives. Und am Ende sei man ein ganzes Stück weiter. Ihr Lieblingsstoff? Ganz klar Wolle: „Die hat eine tolle Haptik und lässt sich gut verarbeiten.“ Wenn sie abends nicht gerade bei einer Generalprobe ist, holt sich Yasmine nach Feierabend ihren Ausgleich zu langen Tagen in der Schneiderei beim Ballettunterricht oder beim Yoga.
Ob sie sich nochmal für ihren Job entscheiden würde? Definitiv! Sowohl für die Arbeit als Schneiderin als auch für die Stelle an den Städtischen Bühnen. Und die Kritiker:innen geben ihr Recht. Erst kürzlich sei die Oper Frankfurt in der jährlichen Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Opernwelt“ schon zum sechsten Mal zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt worden, erzählt uns Yasmine. Und auch die Gewerke bekamen ihre Ehrung: Die Titel des „Chor des Jahres“ (Luigi Dallapiccola – Ulisse) und der „Inszenierung des Jahres“ (Christof Loy mit Rimski-Korsakows „Die Nacht vor Weihnachten“) gingen auch ans Haus.
„Die fertige Arbeit auf der Bühne zu sehen, ist ein ganz besonderer Moment.“
Auf einem kleinen Rundgang bekommen wir noch einmal die Faszination Theater zu spüren und können etwas Bühnenluft schnuppern. Wir bestaunen Unmengen an Strass, Knöpfen, Borten und feinem Zwirn im Besatz- und Stofflager, bewundern die meterhohen Räume der hauseigenen Färberei und erhaschen einen Blick auf die Bühne im Großen Haus – aus Künstler:innenperspektive. Und während wir leise hören, wie sich das Orchester langsam für die Probe am Abend einstimmt, bekommen wir eine Idee vom besonderen Geist des Theaters – und können Yasmine sehr gut verstehen.