09.03.2023
Atelierbesuch: Im Gespräch mit Johannes Ehemann
Zwischen Hinterhofromantik und Loftcharme lebt und arbeitet Künstler Johannes Ehemann im Offenbacher Mathildenviertel. Mit seiner einzigartigen Technik hat er großen Erfolg – nun steht seine erste Einzelausstellung in einer Frankfurter Galerie an. Das verspricht einiges an spannendem Gesprächsstoff. Wir durften ihn in seinem Atelier besuchen und haben mit ihm über seine Kunst, Herausforderungen, Inspirationen, Nachtschichten, das Ende des Eishockeys und Mittel gegen Malblockaden gesprochen.
Suchbegriff Hobbykeller
Das typisch verwunschene Flair des Hinterhofs und das geschäftige Treiben der benachbarten Schreinerei begleiten uns, als wir uns in leichtem Nieselregen nach der richtigen Adresse umschauen. Der Hinweis auf „die pinke Tür“ bringt Licht in unsere leichte Orientierungslosigkeit. Hinter ihr empfängt uns Johannes mit einer für einen so grauen Tag bewundernswerten Herzlich- und Fröhlichkeit. Sein „Kommt doch rein!“ gibt den Blick frei auf ein Wohn-Atelier, das so ziemlich genau die Vorstellungen erfüllt, die wir von einem Ort haben, an dem große Kunst hervorgebracht wird. Viel Weiß, viel Weite, große Fenster und fertige wie unfertige Werke an den Wänden wecken bei uns die typisch romantischen Assoziationen mit dem Leben als Künstler:in, die jeder aufkommen lässt, der keine Ahnung von diesem so wunderbaren wie harten Business hat. Johannes holt uns in unserer Interior-Schwärmerei auf den Boden zurück. Nach langer Suche habe er im Dezember endlich diese Räume gefunden (Suchbegriff-Tipp: „Hobbykeller“), aber „das Internet ist eine Katastrophe“ – und er entschuldigt sich schon einmal für eine eventuelle Unterbrechung unseres Besuchs durch einen Anruf vom Internet-Anbieter.
Wake-up-Call: Klopfen auf Holz
Johannes ist 26. Für einen Künstler in so jungem Alter sei es oft nicht leicht, das Vertrauen von Galerist:innen und Kund:innen zu gewinnen. Umso mehr freut er sich, gerade mit Gruppenausstellungen in Hanau und Frankfurt vertreten zu sein und – noch mehr – am 17. März seine erste Einzelausstellung in der Galerie Christel Wagner in der Fahrgasse zu eröffnen. Ob er bereit ist? Noch nicht ganz. Der Grund ist Fluch und Segen zugleich: Gerade hat er einiges verkauft und für die Ausstellung fehlen noch einige Werke. Es werden also einige Überstunden fällig. Momentan arbeite er von halb sieben Uhr morgens bis um drei oder vier in der Nacht. „Da ist der Weckruf von den Schreiner-Jungs ganz gut, die legen morgens früh los.“ Bei einer Solo Show ginge es vor allem darum, die Range der eigenen Arbeit zu zeigen. Für ein Werk benötigt er zwischen 72 und 96 Stunden – die Zeit möchte er nutzen.
„Mein Stil in drei Worten: dreidimensional, anders, frei(form).“
Pinsel gegen Puck
Es ist Johannes viertes Jahr in der Selbstständigkeit. Anfang Corona – heutzutage eine ganz normale Zeitangabe – hat er sich entschieden, seine Malerei professionell und hauptberuflich zu verfolgen. Seinen Vertrag als Eishockeyspieler löste er auf und tauschte Puck gegen Pinsel ein. Der Einstieg in die Kunst kam für ihn über die Mode und Popkultur. Er studierte Modedesign und war fasziniert vom Sammeln wertiger, aber doch erschwinglicher Stücke wie Möbel oder Sneaker. Sein Traum? Collectables herausbringen. Daher auch die Idee seiner Basketballreihe, die er uns in seiner Werkstatt im Nebenzimmer vorstellt. Aus alten Bällen, erklärt er uns, entlässt er die Luft, um sie dann in organischen Formen mit Gips auszugießen und zu bemalen, als Melone oder im blau-weißen Muster asiatischen Porzellans – hierorts gerne als Bembelmuster interpretiert.
„Was kann Kunst im Raum erzeugen?“
Die Geschichte des Eselsohrs
„Trial and Error“ würde Johannes seine Technik beschreiben. Ein dreidimensionaler Ansatz mit einem Interior-Design-Anspruch. Denn für ihn gibt nicht nur die Kunst selbst den Ausdruck, sondern vor allem ihre Umgebung. „Bei einem hochformatigen Werk wirkt der Raum hoch, bei Querformaten wirkt er eher niedrig und breit. Ein Mosaik in einem Thermalbad wirkt oft klassisch. Ich versuche, es in meiner Arbeit modern zu interpretieren.“ Er entscheidet sich deshalb vorwiegend für Dimensionen, die aus einem Kreis oder Quadrat abgeleitet sind. Und die „zerknitterte“ Optik? „Ich mag zerknüllte Sachen“. Die Zeichen der Zeit, die Mortalität und Vergänglichkeit interessieren ihn. Er zerknüllt Fotos, die er dann in ihrer Verformung und Struktur sehr realistisch und überlebensgroß mit Spray- oder Acrylfarbe auf eine Holzplatte bringt. Zerstörung, Zufall und Rekonstruktion ergeben seinen einzigartigen Stil.
„Jedes Eselsohr erzählt eine Geschichte.“
Auf den zweiten Blick
Der zweite Blick ist das entscheidende. Den soll Kunst provozieren. Auf den soll sie wirken. Und immer neue Fragen aufwerfen. „Ich möchte eine Sogwirkung mit meinen Arbeiten hervorrufen, sodass die Betrachter:innen in sie hineingezogen werden und Fragen stellen“, erklärt Johannes, während wir andächtig seine Arbeiten in verschiedenen Stadien bewundern und diese Sogwirkung unterschreiben können. Das Storytelling möchte er jedoch noch verstärken. Am Anfang sei es wichtig, mit – natürlich qualitativ hochwertiger – Quantität auf den Markt zu kommen. Langfristig möchte er seinen Ideen mehr Zeit und mehr Schärfe geben, selektierter sein und sich einen Gedanken länger anbahnen, länger arbeiten lassen. Der Kontrast von Glück und Unglück, von Liebe und Verlust, Individualität, Andersein und Mental Health faszinieren ihn.
„Meine Arbeiten sollen eine Sogwirkung haben.“
Nicht Everybody’s Darling
Beim Anblick der vielfältigen Arbeiten, Skizzen, Teile und Farben drängt sich uns die größte Angst eines:r Kunstschaffenden unmittelbar auf: Was, wenn einem nichts mehr einfällt? Seine Inspiration holt Johannes sich aus dem Alltag und aus der Popkultur. Er hört viel Musik, reist viel und bleibt nach einer Ausstellung anderswo auch einmal länger, schaut sich die Umgebung an. Auch der Input von Kund:innen könne inspirierend sein. „Mein Kopf arbeitet am meisten, wenn ich male.“ Einer kreativen Blockade wirkt er damit gut entgegen, wobei ihm das sprichwörtliche Loch, in das man beispielsweise nach einer Ausstellung fällt, nicht fremd ist. Dann nimmt er sich (Aus-)Zeit, Urlaub und führt viele Gespräche. Er verwirft Ideen, sucht neue. Eine Blockade kann für ihn ebenso inspirierend sein. Wichtig sei, sich immer wieder klarzumachen, dass man nicht allen gefallen muss.
„Frankfurt ist zum Hängenbleiben.“
Frankfurt Vibes
Frankfurt – wobei wir Offenbach einfach mal eingemeinden – ist für den gebürtigen Nürnberger Johannes nach wie vor ein optimaler Standort. Ihn hat es aus Franken über Berlin und Halle an der Saale hierher verschlagen. Hier findet er Inspirationen, fühlt sich wohl und kann sehr gut leben und arbeiten. „Ich glaube, Frankfurt ist eine Stadt zum Hängenbleiben. Nur die Leute, die es richtig feiern, bleiben hier. Das spürt man.“ Wir stimmen zu. Das ist der Frankfurt Vibe, den wir so lieben.
Gegen Ende unseres physischen wie gedanklichen Ausflugs in die Welt von Johannes Kunst kommt er endlich: Der langersehnte Anruf des Internet-Anbieters: Ein Mitarbeiter sei jetzt vor Ort. Dieser holt uns, noch am Telefonieren, zu den kleinen Alltagsproblemen zurück. Wir verabschieden uns und hören beim Hinaustreten in den mittlerweile zu Schnee gewordenen Regen noch sein pessimistisches Urteil und wagemutige Vorschläge, „mehrere Wände“ zu durchbohren. Toi, toi, toi.
Vielen Dank für den inspirierenden Besuch und Deine Zeit, Johannes!
Die Einzelausstellung von Johannes ist ab dem 17. März in der Galerie Christel Wagner, Fahrgasse 22, Frankfurt Innenstadt, zu sehen.